1.      Ist die Gemeinschaft für das Schicksal der Risikogruppe verantwortlich?

1. Das kann man ohne Einschränkung bejahen. Dass die Stärkeren die Schwächeren schützen ist in unserer Kultur fest verankert. Man denke zB daran wer bei einem Schiffsunglück zuerst in Sicherheit gebracht wird. Natürlich wird es unterschiedliche Meinungen geben wie weit man in der Praxis mit diesem Schutz gehen kann.

Peter

 Kommentar: Wenn wir davon ausgehen, dass Moral zu unserer Kultur gehört (und nicht zu unserer Natur), ist das Übernehmen von Verantwortung Schwachen gegenüber sicher ein Teil unseres Kulturerbes. In der Natur werden allenfalls Jungtiere verteidigt, Kranke, Schwache und Alte werden im Notfall zurückgelassen. In der Natur gilt das Gesetz des Starken, des am besten an die Umwelt Angepassten mit dem Ziel, die überlebensfähigste Spezies zu entwickeln. Zu unserer Kultur, also allem, was wir selbst geschaffen und gestaltethaben, gehören nicht nur positive Dinge, sondern auch negative wie Krieg, Rassenhass, Bücherverbrennung, Bildersturm etc. Ich denke, dass erst durch das Hinzunehmen von Moral und Ethik unsere Kultur Inhalte wie Verantwortlichkeit, Mitleid, Hilfsbereitschaft etc. erhält.

Sylvia

 

Kommentar: Das es so sein sollte, da stimme ich zu. Real ist es aber nicht so. Um Ihr Beispiel aufzugreifen:Wie war das mit dem Kapitän der Costa Concordia, Francesco Schettino, als sein Schiff vor der italienischen Insel havarierte?

Hans Joachim Puch

 

Kommentar:Für den vorliegenden diskutierten Fall stimme ich Peter voll zu. Dass die Stärkeren die Schwächeren schützen gilt aber nur fallbezogen und selektiv. Teilweise werden die Schwächeren einer Gesellschaft von den Stärkeren gezielt gegeneinander ausgespielt, Stichwort Steuergerecht-igkeit.

Wolfgang Rottler

 

2. Wenn die Gemeinschaft für mein Schicksal verantwortlich wäre, bloß weil ich in der Risikogruppe bin, dann würde ich der Gemeinschaft die Schuld geben, das ich Risikogruppe bin.. Geht das? Jeder Mensch erschafft seine eigene Realität, mit jedem Hoch und Tief, mit jeder  Krankheit. Alles liegt in der Eigenverantwortung und keiner ist Schuld, was in meinem Leben passiert. Das was passiert, oder was ich erleben darf ziehe ich an, (Resonanzgesetz). Also bin ich nicht verantwortlich für Dinge was anderen Menschen passiert und Kein anderer ist verantwortlich für mich.

Anonym13

 

Kommentar: Eine Risikogruppe ist definiert durch den Grad der Anfälligkeit einer Gefahr gegenüber. Im Falle von SARS-CoV-2 sind das ältere Menschen oder solche mit Vorerkrankungen. Diese Festlegung besagt nicht, dass nicht auch andere krank werden oder gar daran sterben können. Dass nur ich allein an meinem Schicksal schuld bin, kann man m.E. so nicht sagen. Ich bewege mich in einer Umwelt, die Einfluss auf mich nimmt. Dieser Einfluss reicht bildlich gesprochen von ruhiger Luft bis hin zum Orkan. Ich kann mich und andere schützen, um den Schaden abzuwenden oder zumindest in Grenzen zu halten, aber ich bin mit meiner Umwelt verschränkt. Den Schaden, den mein Umfeld mir zufügt, sei es ein Terroranschlag oder ein Erdbeben, liegt nicht in meiner Schuld. Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle Menschen, die einem Verbrechen oder einer Naturgewalt zum Opfer fallen, dieses Ereignis eigenverantwortlich angezogen haben. Wenn ich das Resonanzgesetz als Wechselwirkung zwischen meinem Inneren und der äußeren Welt verstehe, müsste ich dann nicht im Fall von Corona Einfluss nehmen durch schützende Gegenmaßnahmen, um den Einfluss meiner Umwelt auf mich zu verbessern? Kann nicht nur so eine Wechselwirkung positiver gestaltet werden? Muss im Fall einer Pandemie die Verantwortlichkeit nicht für eine ganze Gemeinschaft gelten, muss sie nicht alle darin einbinden, um erfolgreich zu sein? Was wären wir für eine Gemeinschaft, wenn keiner mehr für den anderen verantwortlich ist, jeder nur noch für sich selbst? Geht das überhaupt?

Sylvia

 

 

Kommentar: Die Aussage, dass alles in der Eigenverantwortung liegt, betrachte ich sehr skeptisch. Sie kann nur teilweise zutreffen, da man ja nicht alleine lebt und vielen äußeren Einflüssen ausgesetzt ist. Und sogar wenn man ganz alleine leben würde, z.B. als Einsiedler, würde die umgebende Umwelt und Natur und auch die innere Natur auf einen einwirken. Letztere ist aber wiederum das Ergebnis aus den Genen und dem Einfluss anderer Menschen, z.B. der Eltern, und der Umwelt. All dies hat man sich nicht "selbst erschaffen".Selbstverständlich ist jedes Mitglied einer Gemeinschaft zunächst auch für sich selbst und damit in gewissem Maß für sein eigenes Schicksal verantwortlich. Aber diese Eigenverantwortung gelingt nur solange, wie die äußeren Umstände, andere Menschen und die eigene physische und psychische Konstitution dies zulassen bzw.nicht be- oder verhindern.Allein schon der Personenkreis der Kinder lässt an der Absolutheit der obigen und der folgenden Aussage erheblich zweifeln - "Das was passiert, oder was ich erleben darf ziehe ich an". Ein Kind ist vielmehr sehr stark davon abhängig, was seine Bezugspersonen und andere Mitmenschen tun und lassen, und es kann dies wissentlich so gut wie nie beeinflussen, vor allem je jünger es ist. Es ist auf Menschen angewiesen, die sich für die kindliche Person verantwortlich fühlen und Verantwortung für sie übernehmen.Das Prinzip der absoluten Eigenverantwortung und die Negation jeglicher Mitverantwortung implizieren, dass man sich jeder Verantwortung für den Mitmenschen entledigt und sich einen Freibrief für sein Tun und Lassen gibt. Zu Ende gedacht würde dies ja bedeuten, dass man – mit der Begründung des Resonanzgesetzes – einem anderen Menschen ohne jede Rücksicht schlicht alles antun darf, denn dieser ist ja schließlich für alles selbst verantwortlich.Eine solche Denkweise von einigen oder vielen Mitgliedern einer Gemeinschaft macht meiner Meinung nach ein Zusammenleben mindestens für diejenigen, die nicht so denken, ziemlich unangenehm und insgesamt ein gedeihliches Miteinander nahezu unmöglich. Für eine differenzierte Betrachtung des Resonanzgesetzes spricht auch folgendes Zitat:"Das Resonanzgesetz ist als dogmatische Sichtweise der Welt natürlich falsch, denn das Leben des Einzelnen hängt immer auch von Bedingungen ab, die jenseits seinesEinflusses liegen," (Stangl, 2020).Stangl, W. (2020). Stichwort: 'Resonanzgesetz'.Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.www:https://lexikon.stangl.eu/16719/resonanzgesetz/(2020-05-24)

Mechthild

 

Kommentar: Ich halte schon die Definition einer Risikogruppe für problematisch. Die Übergänge sind doch fließend. Ganz offensichtlich steigt mit zunehmendem Alter und der Art der Vorerkrankungen das Risiko, an Corona zu sterben. Aber wo ist die Grenze? Die Gemeinschaft als Ganzes hat die Verantwortung, für alle Mitglieder der Gemeinschaft Bedingungen zu schaffen, die das Risiko für den Einzelnen möglichst klein hält. Als Mitglied der Gemeinschaft trage ich in diesem Sinne selbstverständlich nicht nur für mich selbst, sondern auch eine Eigenverantwortung den Anderen gegenüber. Wenn ich mich über die von der Gemeinschaft aufgestellten Regeln zur Risikominimierung hinwegsetze, erhöhe ich das Risiko für Alle und trage in diesem Sinne auch eine Mitschuld

Kai

 

Kommentar: Zunächst wird jeder Mensch, um seine Würde und Integrität zu bewahren, versuchen, sich alleine zu helfen. Angenommene Hilfe kann auch in Abhängigkeit, Bevormundung, ja sogar Verachtung münden. Ich verstehe Ihre Aussage aber nicht, inwieweit die Gemeinschaft dafür verantwortlich ist, dass und ob Jemand zur Risikogruppe gehört.

Wolfgang Rottler

 

3.Verantwortung ergibt sich für mich aus der Freiheit, denn Freiheit lässt
mich handeln. Hierbei ist jedich auch die Freiheit der Anderen zu
berücksichtigen. Dieses Handeln der Anderen kann ich nicht beeinflussen.
Das Handeln kann im Bösen (völlige Freiheit ohne jede Rücksicht)und im
Guten efolgen. In krisenhaften Verhältnissen, wie gegenwärtig, muss
daher ein poltischer Rahmen geschaffen und meine Freiheit, also das
Handeln, eingeschränkt werden, da es der Verantwortung von uns allen
bedarf, damit ein gutes Ende möglich ist.

anonym1

 

Kommentar:Der politische Rahmen, in dem die Rechte und Pflichten jedes Einzelnen festgelegt sind, bildet unabhängig von einer Krise die Grundlage für die Gesellschaft.Reformen passen die Gesetze veränderten Realitäten an. In Krisen jedoch würde dieser Prozess zu lange dauern, da schnell gehandelt werden muss.Schon in der Antike gab es deshalb die Möglichkeit, die bestehende Demokratie durch eine Diktatur auf Zeit handlungsfähig zu halten. Die Gefahr einer Abschaffung der Demokratie war auch damals gegeben. Wie wir wissen, macht die gegenwärtige Pandemie viele Gesellschaften weniger demokratisch.

Wolfgang Rottler

 

 

4. Würden Sie sich mit Freunden in einem Café treffen wollen, wenn Sie wüssten, dass dann 10 ältere Menschen im weiteren Umfeld ein Jahr früher sterben?
Ich glaube, die meisten würden dann für den Cafébesuch votieren, weil sie keine direkte Kausalität zu den Sterbefällen anerkennen wollten bzw. dieses Argument zu leicht abgewehrt werden könnte. Was haben wir mit diesen Leuten zu tun? Es sei denn, die potentiellen Cafébesucher würden die potentiellen Toten kennen. Hier wird m.E. deutlich, welch großen Einfluss die Empathie auf die subjektive Moral hat. Dies wird viel zu oft vernachlässigt. Eine positive Moral kann m.E. nur auf einem gegenseitigen Mögen aufbauen (siehe Adam Smith).
Dies ist die subjektivistische Sicht. Der Staat muss prinzipiell eine andere Position einnehmen, denn hier geht es nicht um interpersonale Abmachungen, sondern um die Erhaltung eines komplexen Systems. Diese richtet sich nach den generellen Staatszielen, die vordergründig in der Verfassung niedergelegt sind und vom Volk legitimiert sein sollten. Empathie spielt hier nur eine geringe Rolle; dies tun vielmehr Rechenexempel wie von den Utilitaristen bereitgestellt ("Glück der größten Zahl" etc.).
Diese beiden Positionen lassen die Ausgangsfragen in einem leicht veränderten Licht erscheinen: Soll ich in das Café gehen, weil ich das möchte - obwohl der Staat, dessen Tun ich im Allgemeinen befürworte, es verbietet? Hier spielt nicht die Erkenntnis des Gesundheitsrisikos (das ich in der Regel nicht nachprüfen kann), sondern meine Identifikation mit dem Staat die entscheidende Rolle. Diese Identifikation wird aber u.a. durch die massenhaft auftretenden "Verschwörungstheorien" verunsichert. So stellt sich für den Bürger das Fehlen klarer Fakten (Dunkelziffer?) im Strudel dessen, was wir Demokratie nennen, als Hauptproblem dar. Wie es ja häufig bei moralischen Fragestellungen der Fall ist. Wie hoch dürfte der R-Faktor sein, bis es zu einer nicht-rückholbaren Explosion von Ansteckungen kommt? Wie sehr können wir die Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen? Wie lange kann eine Gesellschaft einen Lock Down ertragen?

Peter Richter

 

Kommentar: Ich glaube, die meisten würden dann für den Cafébesuch votieren, weil siekeine direkte Kausalität zu den Sterbefällen anerkennen wollten bzw. dieses Argument zu leicht abgewehrt werden könnte. Was haben wir mit diesen Leuten zu tun? Es sei denn, die potentiellen Cafébesucher würden die potentiellen Toten kennen. Hier wird m.E. deutlich, welch großen Einfluss die Empathie auf die subjektive Moral hat. Dies wird viel zu oft vernachlässigt. Eine positive Moral kann m.E. nur auf einem gegenseitigenMögen aufbauen (siehe Adam Smith).Ja, finde ich plausibel. Jetzt gibt es aber Menschen, die kaum oder keiner Empathie fähig sind, die ihre Spiegelneuronen nicht entwickeln konnten. Was machen wir mit denen?

Dies ist die subjektivistische Sicht. Der Staat muss prinzipiell eine andere Position einnehmen, denn hier geht es nicht um interpersonale Abmachungen, sondern um die Erhaltung eines komplexen Systems. Diese richtet sich nach den generellen Staatszielen, die vordergründig in der Verfassung niedergelegt sind und vom Volk legitimiert sein sollten. Empathie spielt hier nur eine geringe Rolle; dies tun vielmehr Rechenexempel wie von den Utilitaristen bereitgestellt ("Glück der größten Zahl" etc.).

Setzt das Glück der größten Zahl Steuergerechtigkeit voraus? Und: nimmt dieses Glück eher zu oder ab? Ist dieses Glück an Wirtschaftswachstum gekoppelt?

Diese beiden Positionen lassen die Ausgangsfragen in einem leicht veränderten Licht erscheinen: Soll ich in das Café gehen, weil ich das möchte - obwohl der Staat, dessen Tun ich im Allgemeinen befürworte, es verbietet? Hier spielt nicht die Erkenntnis des Gesundheitsrisikos (das ich in der Regel nicht nachprüfen kann), sondern meine Identifikation mit demStaat die entscheidende Rolle.

Tolle Herleitung.

Wolfgang Rottler

 

5.Ein solch einfaches Utensil wie der Mund-Nasenschutz ist geradezu ein Symbol für ver-antwortliches Handeln gegenüber dem Anderen. Denn bekanntlich schützt er einen selbst nicht oder kaum, vielmehr aber die Mitmenschen, insbesondere die Risikogruppen. Durch das Tragen dieser "Maske" übernimmt man also Verantwortung für den Schutz des Anderen. Und wenn alle die Maske tragen, ergibt sich dadurch eine gegen-seitige Verantwortung, die meines Erachtens die Grundlage jeder Gemeinschaft bildet.Diese Situation und meine Gedanken sehe ich auch durch folgendes Zitat von Seneca ge-stützt:Es kann niemand ethisch verantwortungsvoll leben, der nur an sich denkt und alles seinem persönlichen Vorteil unterstellt. Du musst für den anderen leben, wenn du für dich selbst leben willst."In krassem Gegensatz dazu steht folgende Aussage einer Teilnehmerin an den Anti-Corona-Maßnahmen-Demonstrationen vom Samstag: "Ich möchte selbst bestimmen, ob ich an Corona sterbe oder an etwas anderem."Und folgendes Zitat von George Bernard Shaw beschreibt die m.E. falsch verstandene Freiheit vieler Anti-Corona-Maßnahmen-Demonstranten/innen sehr gut:"Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit. Das ist der Grund, warum die meisten Menschen sichvor ihr fürchten.

Mechthild

 

Kommentar: Ja, sehe ich auch so. Stimme voll überein.

Wolfgang Rottler

 

 

6.Ich denke, dass all die Menschen, die jetzt ihr Recht auf persönliche Freiheit ohne Mundschutz undohne Abstand auf sogenannten Hygiene-Demos einfordern, die ersten sind, die nach derRücksichtnahme der Gemeinschaft schreien, wenn sie durch das Virus zu Schaden kommen. Unddann wollen sie nichts mehr davon hören, dass sie selbst schuld sind aufgrund ihres Verhaltens.Schuld sind immer die anderen. Wenn ich für mich selbst Verantwortung übernehme, verantwortlichmit mir selbst umgehe und dieses Verhalten reflektiere, mein Nichtwissen auf einem Gebiet (indiesem Fall über SARS-CoV-2) zugeben und notgedrungen auf das Wissen und die VerantwortlichkeitDritter vertrauen muss (die aber in der unbekannten Situation auch nach Trial and Error handeln),muss ich mich, schon meinem eigenen Wohlergehen zuliebe, für die Verantwortung selbst einerkleinen Risikogruppe gegenüber entscheiden.

Sylvia

 

Kommentar: Ich kann diese Sicht nur unterstreichen. Ich denke aber, dass Nichtreflektion des eigenen Verhaltens und Nichtwissen für einen zunehmenden Teil unserer Gesellschaft generell zu einem verantwortungslosen Handeln führt. Zusätzlich werden dieser Umstand und die Ängste der Menschen (besonders jetzt in der Krise) von interessierten Kreisen für eigene Ziele auch instrumentalisiert und die Auflehnung gegen das System und die „Regeln“ geschürt.

Kai

 

 

7.  Ob ich die Verantwortung der Jungen und Gesunden, über die sozialen Absicherungen hinaus, jemals abfordern würde, weiß ich nicht. Aber als Senior freute ich mich, dass sich gleich drei Nachbarn angeboten haben, für uns einzukaufen.

Verantwortung ist keine Einbahnstraße. In der Regel liegen Geld und Vermögen weitgehend in den Händen der älteren Generation. Warum sollte da nicht ein Ausgleich zu Nutzen der Jüngeren erfolgen, auf deren Schultern nun alles lastet?

Karl-Heinz Kremer

 

Kommentar: Verantwortung: füreinander einstehen, ohne sich gegenseitig zu bevor-munden.Gegenseitiger Respekt. Toller Beitrag.

Wolfgang Rottler

 

 

8.  Natürlich gibt es darauf keine eindeutige Antwort. Nur eine sinnvolle Annäherung scheint mir hier möglich. Der Vergleich, der sich mir aufdrängt ist ein biblischer: „Bin ich der Hüter meines Bruders?“ so antwortet Kain Gott auf dessen Frage nach dem Verbleib seines Bruders Abel, den dieser bereits erschlagen hatte.
Die gesellschaftlichen Gruppen haben vernünftigerweise die Pflicht sozialen, offenen und wohlwollenden Umgang miteinander zu pflegen. Abgrenzung führt zur Abwertung und amit letztlich zu Bürgerkrieg, wo, wie Thomas Hobbes zu berichten wußte, der Mensch dem Menschen ein Wolf wurde. (...kann ihm aber auch ein Gott sein - Doppelnatur des Menschen).
Oft ist von einer Wertegemeinschaft die Rede. Insofern diese glaubhaft behauptet werden soll, ist eine Gemeinschaft für ihre Risikogruppe sehr wohl verantwortlich. Sehr unterschiedlich fällt die Antwort je nach Nation aus, ablesbar an der Mortalitätsrate. Eine Seuche ist wie ein Erdbeben oder ein Bankencrash ein Stresstest für eine behauptete Gemeinschaft.
anonym2
9. Was ist mit Gemeinschaft gemeint? Gemeinschaft bildet aus soziologischer Sichtweise einen Gegensatz zu Gesellschaft (Ferdinand Tönnies 1931: Gemeinschaft und Gesellschaft). Unter Gemeinschaft versteht Tönnies einen organischen, ganzheitlichen und natürlichen Zusam-menhang der drei Arten umfasst: Gemeinschaft des Blutes (Verwandtschaft), Gemeinschaft des Ortes (Nachbarschaft) und Gemeinschaft des Geistes (Freundschaft). Die Menschen be-gegnen einander mit „Verständnis“ und einer „verbindenden Gesinnung“. Davon zu unter-scheiden ist Gesellschaft als ein „künstliches Gebilde“, in dem sich die Menschen als „Frem-de“ begegnen und ihre Begegnung über „Leistung und Gegenleistung“ definieren. (...)

Eine auf einem anderen Fundament aufbauende, in der Konsequenz aber vergleichbare ethische Begründung ist in der Katholischen Soziallehre zu finden. Aufbauend auf dem christlichen Menschenbild, dass der Mensch eine „personale Würde“ hat, die unabhängig von Geschlecht, Herkunft etc. einen Wert an sich darstellt (Menschenwürde) und unver-äußerlich ist, wird die soziale Verantwortung für andere mit dem „Solidaritätsprinzip“ be-gründet. Dieses Prinzip gründet auf der Aussage, dass in jeder sozialen Gemeinschaft eine Wechselwirkung von Individuum und Gemeinschaft bestimmend ist. Daraus folgt die soziale Verantwortung (Solidarität) , dass jeder nicht nur für sich, sondern auch für die ganze Gemeinschaft verantwortlich ist. Das Bindeglied zwischen gemeinschaftlichem und gesellschaftlichem Handeln bildet in der Katholischen Soziallehre das „Subsidiaritätsprinzip“. Hier wird geregelt, wie das Verhältnis von persönlicher zu staatlicher Verantwortung aus-gelegt wird. Demnach soll das, was von den kleineren sozialen Einheiten (Gemeinschaften) geleistet werden kann, in deren Verantwortung erbracht werden. Erst dort, wo die kleineren Einheiten an ihre Grenzen stoßen, darf staatliches Handeln zum Einsatz kommen.

Hans-Joachim Puch (Auszug)

 

 

 

10. Die Unmittelbarkeit der Gefährdung wäre zu beweisen. Denn die Aussage impliziert die Annahme, dass jeder Mensch als potentieller Virenträger und Überträger in Frage kommt und man ihn nach dem Gleichheitsgrundsatz behandeln muss, dass er – wie jeder andere auch - ein adäquates Glied in der Übertragungskette sein kann. Doch bedarf diese Annahmen nur solange gelten, wie sie nicht durch Tests verifiziert wurden. Ansonsten beraubt man den Einzelnen seiner individuellen Entscheidungsfreiheit, über das richtige Maß von Nähe und Distanz bestimmen zu können. Solange wir uns im Raum der Hypothese bewegen – „Du könntest mich anstecken“ – folgen wir nicht den Tatsachen, sondern einer wie auch immer gearteten und sich legitimierenden, spekulativen Vernunft. Wer hier die Vorsorge-Argumentation zitieren will, verkennt, dass wir in der Gesellschaft in diversesten Annahme-Szenarien leben, die die Begriffe „Verantwortung“ und „Sicherheit“ zumindest in Frage stellen. Ein Fallschirmsprung mag ein Gefühl von Freiheit vermitteln, ist aber verantwortungslos, weil er tödlich enden kann (empirisch belegbar!). Wer die Freiheit eines Feierabendbieres genießt kann zum Alkoholiker werden. Millionen Alkoholkonsumenten bestätigen aber das Gegenteil. Wenn x-Prozent andere Menschen mit Covid-19 anstecken, tun es y-Prozent jedoch nicht. Gehöre ich automatisch zu den x-Prozent, wenn ich keine Maske trage? Ich kann ebenso zu den y-Prozent gehören. Da es hier aber an ausgereiften Standards der Forschung und des Testens fehlt, werde ich ununterscheidbar in einen Topf mit allen geworfen. Das aber widerspricht dem Wesen der Freiheit: Entscheidungen für sich selbst treffen zu können. Damit bin ich der Verantwortung für die Konsequenzen meines Handelns enthoben.
Klaus E. Jopp

 

Kommentar: Ich verstehe Ihre These so, dass nur dann, wenn eine gesicherte Datenlage über medizinische Kausalketten vorliegt, die Freiheit aller eingeschränkt werden darf. Solange dies nicht der Fall ist, besteht die Freiheit des Einzelnen darin, „Entscheidungen für sich selbst zu treffen“. Dieser These würde ich widersprechen. Ein Bezugspunkt Ihrer These ist, nur wenn die Handlungsfolgen eines Einzelnen kausal nachweisbar sind, kann die Freiheit dieses Einzelnen durch staatliches Recht eingeschränkt werden. Die Legitimierung einer staatlichen Rechtsnorm kann aber nicht daran geknüpft sein, dass der Tatbestand der Rechtsnorm von allen potenziell Betroffenen faktisch praktiziert wird. Wenn dies der Fall wäre, dürfte die Regelung „Bei Rot an der Ampel anhalten“ (was übrigens auch eine Einschränkung individueller Freiheit bedeutet) nur dann staatliches Gesetz werden, wenn diegesicherte Erkenntnis vorliegt, dass alle Autofahrer bei einer roten Ampel nicht anhalten. Dass dies wenig sinnvoll ist, dürfte evident sein. Ein weiterer Bezugspunkt Ihrer These sind die Beispiele mit dem „Fallschirmsprung“ und dem „Feierabendbier“. Dies sind aber Beispiele der Selbstgefährdung und nicht der Fremdgefährdung, wie wir sie bei Corona diskutieren.

Hans-Joachim Puch

 

Kommentar: Dieses Virus ist eine Gefahr für die Gemeinschaft insgesamt. Es liegt in der Natur dieserGefahr, dass es (aus vielen Gründen) nahezu unmöglich erscheint, Kausalketten und unmittelbareGefährdungen eindeutig zu verfolgen. Deshalb gibt sich die Gemeinschaft systemisch Regeln (über die Art des Zustandekommens der Regeln lässt sich wiederum streiten), um das Risiko für die Gemeinschaft zu minimieren. Die geforderte individuelle Entscheidungsfreiheit, über das Maßvon Nähe und Distanz selbst entscheiden zu können, führt gegebenenfalls zu einer Erhöhung des Risikos für Alle und ist damit eben nicht vergleichbar mit den genannten Beispielen einer Selbstgefährdung. Ich halte deshalb auch in der aktuellen Situation Sanktionen der Gemeinschaft gegen den Einzelnen für legitim, der sich über diese Regeln aus rein egoistischem Freiheitsbedürfnis hinwegsetzt.

Kai

 

Kommentar:Die Definition von Freiheit heißt doch vollständig...“solange die Freiheit anderer nicht eingeschränkt wird“ darf ich meine Freiheit ausleben. Der spekulativen Vernunft folgend (in Ermangelung besseren Wissens) schadeich aber potentiell anderen Gemeinschaftsmitgliedern, wenn Sie ohne Rücksicht auf die Konsequenzen Ihres Handels für andere tun was Sie wollen. Ein zweiter Freiheitsbegriff besagt, „Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit“. Sozial betrachtet – und ich denke, das ist unsere Blickrichtung – sehe ich also die vorübergehende „leichte“ Einschränkung meiner Freiheiten zum Wohle anderer ein. Das ist vernünftig und sozial.

Wolfgang Rottler

 

 

 

11. Die Verantwortung einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft, den Einwohnern eines Staates, eines Kontinentes, unseres Planeten gegenüber, ist vom Einzelnen um so schwerer seinem Egoismus unterzuordnen, je größer die Gruppe ist, die ihn kontrolliert, bzw. auf Grund der Größe ihn nicht mehr kontrollieren kann. Das Fehlverhalten des Einzelnen wird ihm nicht direkt vor Augen geführt, die Konsequenz ist verzögert und evtl. nicht zuordenbar.

Ein Gemeinwesen, eine Gesellschaftsform gibt sich Gesetze, also traut sie dem Einzelnen nicht zu, sich in ausreichendem Maß verantwortungsvoll zu verhalten, die Gemeinschaft übt per Gesetz Druck aus, um Sicherheit für möglichst viele Mitglieder herzustellen.

Luitgard Wölfel

 

Kommentar: Ich glaube, das der/die Einzelne kein Interesse daran hat, mit dem genauen Ausmaß des Fehlverhaltens konfrontiert zu werden. Denn bei gleichzeitiger Ohnmacht käme es zu vollständiger Überforderung. Ein bekanntes Beispiel wäre das Zustandekommen eines Preises. Die Qual derTiere, die Ausbeutung der Menschen, die gezwungen sind, Jobs in der Fleischindustrie anzunehmen, die Abrodung der „grünen Lunge“ unseres Planeten spiegelt diesen Preis, den wir für Grillfleisch zahlen jedenfalls nicht wider.Ich traue Niemandem zu, sich konsequent verantwortungsvoll im Sinne einer Gemeinschaft zu verhalten, deshalb kontrollieren wir uns wohl am besten gegenseitig. Fair, wohlwollend und anhaltend.

Wolfgang Rottler

 

 

 

 

12. Was ist eine Risikogruppe? Ich gehöre auf Grund meines Alters (65) plötzlich dieser überraschenderweise an. In einer Gemeinschaft gibt es Spielregeln um ein gutes Zusammenleben aufrecht zu erhalten. Ich  halte mich an diese Spielregeln, um die Gemeinschaft und somit auch die Risikogruppe nicht zu gefährden. 

Jeder Erwachsene ist für sich selbst verantwortlich. Ich muss die Verantwortung für mein Leben, wie ich lebe und auch für mein in Würde sterben dürfen übernehmen und kann dies bei klarem Bewusstsein festlegen. Damit kann ich die Gemeinschaft entlasten. 

Ingrid

 

Kommentar: Die Überraschung zu einer Risikogruppe zu gehören, kann ich nachempfinden. Ich fühle mich fit und gesund und vor allem möchte ich nicht stigmatisiert werden. Mir persönlich wäre es peinlich, dass andere plötzlich für mich einkaufen, obwohl ich mich in keiner Weise eingeschränkt fühle, das selbst zu tun. Mein Freiheitsbedürfnis drängt aus dieser „Schublade“ heraus. Verantwortung für eine Risikogruppe sollte vielleicht mit dem Willen der Risikogruppe zu solch plötzlicher Nächstenliebe übereinstimmen.

Sylvia

 

Kommentar: Ja, genau. Jeder in der Gemeinschaft, die Risikogruppe eingeschlossen sollte sich sinnvollen Spielregeln unterwerfen, um mit der viralen Bedro-hung möglichst verlustarm umgehen zu können.

Wolfgang Rottler