Gibt es das Glück der "inneren Ruhe"?

Beiträge der TeilnehmerInnen

nach Kerngedanken (interpretierend) geordnet

 

1.Glück steht nicht still, es ist flüchtig

a) Was ist Glück? Eine urmenschliche Eigenschaft ist das Streben nach Etwas (und sei es die Reflexion, der Wunsch nach Erkenntnis, Selbsterkenntnis, was auch immer, also auch bei Montaigne, der gewiss bei seinen Essays auch manchmal unzufrieden war, zweifelte und nach treffenderen Betrachtungen suchte). Ist das Ziel erreicht, wird nach einer kleinen (!) Pause des Erfolgs und der Zufriedenheit das nächste angestrebt. Dieser Moment der Zufriedenheit ist ein Moment der „inneren Ruhe“ .Und vielleicht stimmt der Satz, dessen Verfasser ich nicht kenne: Glück ist das Maß der kleinsten Zeiteinheit im Leben eines Menschen. Das Streben geht weiter.

Anonym5

 

 

b) Glück ist kein einmal erreichbarer Zustand des subjektiven Wohlbefindens (Zufriedenheit), sondern flüchtig wie ein scheues Reh. Fassbar bzw. erlebbar wird es nur in den kurzen Augenblicken, in denen die Verbundenheit der eigenen Sinnhaftigkeit mit einem Höheren als  Lebensglück empfunden werden kann. Dauerhaft gesehen bedeutet die Suche nach Glück eine Lebensaufgabe, die uns bis zu unserem letzten Atemzug in Atem hält.

Hans-Joachim Puch

 

Kommentar:

Wo finden wir in diesen Zeiten Glück? Ich denke, wir finden es in den Dingen, zu denen wir in unserem heruntergefahrenen Lebensrhythmus auf einmal wieder Zeit finden: Spiele machen, philosophische Stellungnahmen schreiben, Bücher lesen, kochen und gemeinsam essen etc. Glück findet also in den einfachen Dingen im Leben statt? Oder ist Glück gar nur ein Augenblick des Empfindens?
Aber glücklich ist der Mensch doch auch in einem globaleren Sinn: Wenn er alles hat, was er braucht, wenn er erreicht hat, was er will, wenn er positive menschliche Beziehungen hat. Das erinnert an die Maslowsche Bedürfnispyramide. Sind wir wirklich glücklich, wenn wir die Spitze erklommen haben oder fangen wir dann wieder von unten an nur auf einer höheren Ebene? Brauchen wir immer neue Ziele, immer neues Streben nach dem Glück? „Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. Lerne nur das Glück ergreifen: Denn das Glück ist immer da.“ (Goethe)

Sylvia Kiesewetter

 

 

 

2.Glück ist Innerlichkeit

a) Das Glück der "inneren Ruhe" ist dem vergönnt, der seine innere Logik heraus gefunden hat und damit leben bzw. deren unbekanntes Vorhandensein akzeptiert kann.

Karl Heinz Kremer

 

Kommentar:

Jeder Einzelne muss seinen eigenen Weg zur Wahrheit und zum Glück finden. Es gibt keine absolute Definition des Begriffs Glück. Wer bereit ist, sich einzulassen auf die vielen Möglichkeiten, und dabei auch Zweifel zulässt, wird zum Ziel kommen. Ja, der Weg ist anstrengend.
Bin ich glücklich? Führe ich ein gelingendes Leben? Das kann ich nur selbst für mich beurteilen und spüre es auch jeden Tag. Nicht nur das Wissen ist gefragt, auch das Fühlen! Das "Ich" wird es erahnen und spüren.

anonym

 

 

b) Es gibt die innere Ruhe, das Momentum des Kontemplativen, in dem das Ich, auf sich selbst geworfen, die Außenwelt „abschaltet“. Ob das gleichbedeutend mit Glück ist? Ich weiß es nicht, zumal Glück doch eine recht launische Göttin ist, einmal ganz abgekoppelt von Seneca betrachtet.
Anonym4

 

c) Michel de Montaigne hat dieses Glück ja offensichtlich gefunden. Er sucht den Weg
nach innen, indem er seine PERSONA ablegt.
Mag die Corona-Krise dazu beitragen, dass viele Menschen diese innere Ruhe,
durch philosophieren, Musik, Naturbetrachtung und was es noch alles an
musischen Freuden gibt, voll und ganz genießen können.

Anonym6

 

 

 

3.Glück ist Weltbezug, niemals reine Innerlichkeit

 

a) Das Glück der „inneren Ruhe“ ist durchaus auch abhängig von äußeren Umständen: für wen und was bin ich verantwortlich? Was muss ich tun, um diesen Verpflichtungen nachzukommen? Innere Ruhe erlangt man (meist) mit dem Bewusstsein, einer Sache (Aufgabe) gerecht geworden zu sein, in dem Sinne, getan zu haben, was man tun konnte. Sich klarzumachen, dass das individuell verschieden ist, ist dabei Voraussetzung für das Erlangen dieser Ruhe.

Anonym5

 

b) Da bin ich mir sicher. Die alten griechischen Philosophen, allen voran die Stoiker, die Sie ja auch gerne zitieren, haben es uns ja vorgemacht. Noch mehr die Leuchttürme der östlichen Philosophie wie Lao Tzu, Tschuang Tzu im Taoismus, Buddha und viele Zen-Meister und zahllose Meister des Advaita Vedanta wie Shankara. Leider hat die moderne akademische Philosophie völlig den ursprünglichen Pfad verlassen und beschäftigt sich mit rein intellektuellen, nachrangigen Fragestellungen anstatt den Menschen aufzuzeigen und  vorzuleben (!!!) wie man ein gutes, weises und glückliches Leben führen kann.

Peter

 

c) Ein Leben, das sich immer wieder bewahrheitet (in dem die Wahrheit also ein Handeln ist!), dass das möglich sein soll, das finde ich beglückend. Meine Frage ist also eher: Wie komme ich in meinem tagtäglichen Handeln mit dem 'Schönen, Wahren, Guten und Einen' in Kontakt?

 

Bewährt ist die Methode der Befreundung. So macht es übrigens auch Sybille Lewitscharoff, die ihre fantastischen Frankfurter Poetikvorlesungen vom "Guten, Wahren und Schönen" genannt hat.

Anonym8

d) Glück der inneren Ruhe. Da ich an die Verbindung zwischen Mensch und Universum fest glaube, bin ich getragen, ebenso wie gefordert. So ist das Glück der inneren Ruhe für mich zu finden, indem ich - im Austausch - durch Zugewandtheit und Abkehr zu und von den Menschen, die Viefalt der Gesamtheit des Lebens im Wandel aktzeptiere und annehme. Dies ist Übungssache.

Anonym10

 

 e) Ja, das gibt es. Es ist individuell ganz verschieden. Aber es ist weder eine Selbstverständlichkeit, noch ein Automatismus noch eine Konstante. Glück empfinde ich, wenn es gelingt, meine Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen sowie die der Menschen, mit denen ich mich gern umgebe, in einen harmonischen Einklang mit der beobachtbaren Realität zu bringen. Das kann ein kurzer flüchtiger Moment sein, wenn beispielsweise ein liebevoller Blick erwidert wird. (...)

Trotz der widrigen Umstände aktuell fehlt es mir hier nicht an Glück. Es macht mich glücklich, dass sich die geschmiedeten Pläne und Erwartungen jetzt materialisieren. Dabei finde ich eine erstaunliche innere Ruhe und Abstand zur allgemeinen Hysterie. Glück ist aber auch vom Betrachtungsrahmen abhängig. Löse ich mich von meinem persönlichen Umfeld und ziehe ich den Kreis größer und schaue auf unser Land oder gar die Welt, bin ich weit von innerer Ruhe und Glücklichsein entfernt.Jegliches Glück ist nicht notwendigerweise von Dauer. Ein falsches Wort in einer Beziehung, und die innere Ruhe und das Glücksgefühl kann von einer Minute zur anderen hinfällig sein. Der Verlust von Freunden, Angehörigen, des Arbeitsplatzes oder andere krisenhafte Situationen oder Einwirkungen von außen können das sicher geglaubte Gefühl schwer erschüttern. Dann gilt es, ein neues Gleichgewicht und die innere Ruhe wieder zu finden, was schwierig und anstrengend sein kann, für Manchen gar unmöglich.

Kai

 

 

4. Glück ist Ruhe und Bewegung im Geist

a) Ich glaube es ist wichtig die verschiedenen Sichtweisen von "Wahrheit" nebeneinander stehen lassen zu können, erst dann kann Gelassenheit entstehen.

Es kann sich Ruhe einstellen und Freude am Denken.

Anonym7

 

Kommentar:

Nachdenken über Glück:

Glück empfindet wohl wirklich jeder anders, wie man den Gedanken der Verfasser entnehmen kann.
Es sollten jedoch für alle Menschen Lebensumstände geben, in denen man sich um das Thema Glück
Gedanken machen kann.

Annette

 

Kommentar:

Mir gefällt die Sichtweise, dass innere Ruhe sich einstellt, wenn ich Gelassenheit erlange, viele Wahrheiten nebeneinander stehen lassen zu können.  Diese Sichtweise beinhaltet, dass ich weiter Wahrheiten suchen und entdecken kann, dass ich zweifeln kann, dass ich weiter an meiner inneren Ruhe arbeiten kann, auch wenn ich mich nicht aus der Welt zurückziehe. Gelassenheit ist vielleicht das Ziel all unseres Strebens, unsere Triebfeder für ein Leben auch in Zeiten wie der momentanen, weil wir durch sie Hoffnung schöpfen können, dass es neue Wahrheiten geben wird, mit denen wir besser und freier leben können.

Sylvia Kiesewetter

 

 

b) Während Montaigne offensichtlich für eine Lösung mehrere Wahrheiten sah, sie alle anzweifelte und deshalb auf eine weitere Suche verzichtete,  um so die "innere Ruhe" zu erlangen, empfinde ich die drei Anker, Zweifel, Wahrheit und Glück, miteinander in einem zyklischen Vorgang verbunden. Zur "inneren Ruhe", somit Glück, komme ich durch Zweifel und durch die Suche nach der Wahrheit.
Aber einmal gefunden, ist das Glück ein schönes, aber doch kein stabiles Gebäude - man wird unruhig, man fängt an zu zweifeln, man fängt an eine neue Wahrheit zu suchen ... und ein neuer Zyklus beginnt.
(Übrigens, das gilt auch für den Fall, dass man keine Wahrheit gefunden hat - man sucht sie weiter anderswo.)
Diesen instabilen Zustand könnte man auch mit den bekannten Halbwertezeiten einiger Elemente vergleichen:
Glückszustände sind wie schnell zerfallende radioaktive Elemente. Wird eine bestimmte individuelle Glücksmasse unterschritten - beginnen
Unruhe, Zweifel und eine neue Suche von vorn ...
Diese Suche, diesen Zyklus könnte man sich visuell ungefähr wie im folgenden Ablaufdiagramm vorstellen:  

Die drei Anker (Zweifel, Wahrheit, Glück) wurden absichtlich innerhalb blauen Wolken dargestellt, um den labilen Zustand dieser Kategorien "gerecht zu werden"!

Es ist mir bewußst und es tut mir Leid, nicht mit Montagne einverstanden sein zu können, aber lieber ein Hamster, der die Wahrheit im Hamsterrad sucht, als eine Maus daneben, die alles aufgegeben hat und ihm deprimiert zuschaut.

Anonym9

Kommentar:

Hier finde ich anregend, dass Ungewissheit und die Suche nach immer weiteren Erkenntnissen keineswegs Verzweifelung bedeutet, sondern Momente des Glücks hervorbringen kann. Mir kommt hier Albert Camus: Der Mythos des Sisyphos in den Sinn. Der immer neue Versuch, Erkenntnisse in Frage zu stellen, kann eine lebenserfüllende und glücklich machende Aufgabe sein.

Hans-Joachim Puch

 

Kommentar:

Montaigne zieht sich zurück, um sich durch Nichtstreben nach Wahrheit zum Glück der inneren Ruhe zu finden. Und wenn man sie gefunden hat, strebt man dann nicht nach etwas Neuem? Kann der Mensch zufrieden sein mit der erreichten inneren Ruhe?  Ich denke, die meisten  Menschen brauchen immer den Bezug zur Welt. Wir brauchen Input, um unsere eigenen Wahrheiten zu finden. Drehe ich mich nicht mit meinen Gedanken im Kreise und nur um mich und meine persönlichen Erfahrungen, wenn ich mich aus der Welt zurückziehe?

Sylvia Kiesewetter