Welchen Sinn hat der Zweifel?

 

Beiträge der TeilnehmerInnen

nach Kerngedanken (interpretierend) geordnet

 

1.Der Weg ist das Ziel

 

a) Walther Rathenau, liberaler Staatsmann der Weimarer Zeit, hat geschrieben: "Denken heißt vergleichen". So steht es in großen Lettern am gleichnamigen U-Bahnhof in Nürnberg. Doch ohne den Zweifel verlasse ich die gedankliche Entropie nicht, ohne die Dissonanz gibt es kein Vergleichen, setzt sich der Motor nicht in Bewegung. Wenn auch das Produkt am Ende nicht die (womöglich überwundene) Wahrheit ist, so ist doch der Prozess das eigentliche Vergnügen.

Anne

 

b) Der Zweifel in Bezug auf die Wahrheit ist die Haltung eines wirklichen Wissenschaftlers. Ich bin mir sicher, dass es die Wahrheit gibt, kann mir aber niemals sicher sein dass ich sie gefunden habe bzw. schon kenne. Dies im Gegensatz zum Glauben im Sinne der grossen Religionen. Es ist also die Bereitschaft jede Erkenntnis im Lichte neuer Fakten und Erkenntnisse immer wieder auf den Prüfstand zu stellen.

Peter

 

Kommentar:

Der Apostel Thomas ist als „ungläubiger Thomas“ bekannt, weil er an der Auferstehung Jesu zweifelte. Erst als er seine Finger in die Wundmale legen konnte, glaubte er. Der Mensch braucht Gewissheit und Beweise, damit er eine Sache als wahr erachten kann. Im neuen Testament ist das Problem des zweifelnden Thomas mit der Handlung, die Finger in die Wundmale zu legen, beendet.  Ist es wirklich so einfach, Zweifel zu beenden? Zweifel ist wie ein Motor, der das Denken antreibt, der unseren Horizont erweitert und uns bewahrt vor falschen Wahrheiten oder solchen, die nicht zu uns passen. (1b Zweifel, Peter, Anne; 2b Zweifel: Anonym3 und 7) Ich denke, „der ungläubige Thomas“ hat weiter gezweifelt. Er hat sich seinen Glauben erzweifelt.

Sylvia Kiesewetter

 

c) Ich versuche (oft), zu hinterfragen, ob ausreichend Informationen vorliegen, um daraus eine gewisse Gewissheit zu entwickeln und auf dieser Basis Entscheidungen treffen zu können und zu versuchen, komplexe Systeme in eine gewünschte Richtung zu steuern. Das Hinterfragen oder der Zweifel müssen immer erlaubt sein, neuer Input kann die Systeme in eine völlig andere Richtung lenken. Zweifel ist damit eine Möglichkeit des Korrektivs, wenn es unerwünschte Entwicklungen gibt und in der komplexen Welt nachgesteuert werden muss. Allerdings darf der Zweifel nicht exzessiv ausarten, sonst wirkt er blockierend. In einem angemessenen Maß aber führt der Zweifel nicht selten zu neuen, auch überraschenden Informationen und Erfahrungen.

Kai

 

2. Der Weg führt zum Ziel

 

a) Zweifeln und sich in Frage stellen dienen als Vehikel, an meine unbewussten Beweggründe heran zu kommen, mich besser kennen zu lernen. Nur dazu machen sie Sinn (Methode Michel de Montaigne).

Karl Heinz Kremer

 

b) Zweifel ist, in der richtigen Dosierung angewendet gegen sich selbst, ein Präventiv, um mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben, sich zu kritischer Reflexion zu befähigen und unterscheiden zu können, zwischen Behauptungen, die den Tatsachen entsprechen und solchen, die nicht nachgewiesene Tatsachen als wahr behaupten.

Anonym3

 

c) Bei mir erweitert der Zweifel den Blick auf die Welt, verschiedene Sichtweisen verschaffen größeren Gedankenreichtum.

Anonym7

 

d) Nicht die Gewissheit, sondern der Zweifel ist die Triebfeder des menschlichen (Erkenntnis-) Fortschritts. Er behütet uns vor Selbstüberschätzung im persönlichen wie im gesellschaftlichen Leben und führt uns dennoch zu immer neuen Erkenntnissen.

Hans-Joachim Puch

 

e) Zweifel führt zum Überlegen und differenziertem Handeln. Ohne Zweifel gibt es keine Diskussion und keine Lebendigkeit.
Wo wären wir heute, wenn Menschen Dinge nicht hinterfragt oder angezweifelt hätten?
Annette

 


 

 3.Zweifeln ist riskant, denn man kann leicht das rechte Maß verlieren

 

a) Zweifel bedeutet für mich Distanz zum Gegenstand der Betrachtung, der Vorbehalt: es könnte auch anders sein. Er fördert die nähere Betrachtung der Umstände bzw. die der Facetten einer Sache (was anstrengend sein kann; viel leichter ist es zu glauben, sich dem Urteil des Anderen - der vielleicht mehr weiß -  oder dem der Mehrheit anzuschließen). Im besten Sinne führt er und zur Toleranz, im schlechtesten zur Wankelmütigkeit oder gar zur Handlungsunfähigkeit.

Anonym5

 

Kommentar:Anregend finde ich, dass auf ein Spannungsverhältnis hingewiesen wird. Damit wird deutlich, das Zweifel kein Selbstzweck sein soll, sondern ein Instrument zur kritischen Selbstreflexion und "Bescheidenheit".

Hans-Joachim Puch

 

b) Der Zweifel kann zu alternativen Denkmustern und so unter Umständen zu
besseren Entscheidungen führen. Das gelingt jedoch nur, wenn Lösungen gefunden
werden, die mehr oder weniger objektivierbar sind, also wissenschaftlich
begründbar.
Gefährlich sind die ewig unbelehrbaren Zweifler. Ich denke hier z.B. an den
Klimawandel. Trotz objektiver Belege gibt es noch viele Menschen, die den
Klimawandel bestreiten, obwohl er von keinem seriösen Meteorologen bestritten
wird.
Das Ergebnis des Zweifels muss auch bezweifelt werden dürfen.

Anonym6